Vorwort des Verfassers

Freund, ich kenne deine Wißbegier und doch bitte ich dich, mir einen Moment deine Aufmerksamkeit zu schenken. Blättere nicht ungeduldig über diese kurzen Zeilen hinweg. Bald schon werde ich mein bescheidenes Wissen über unsere Welt vor dir ausbreiten, doch zuvor will ich dir erzählen, wie ich dieses Wissen erlangt habe. Dann magst du selbst entscheiden, ob du meinen Worten glauben willst.

Malca heiße ich, auch Malacir werde ich genannt. Ich stamme aus altem sabessischen Adel. Welche Familie spielt keine Rolle: sind sie auch nach außen hin Gegner, so sind doch nach innen alle Mächtigen gleich. Ich hatte das Glück, als zweiter Sohn geboren zu werden. Während mein Bruder unter der strengen Aufsicht meines Vaters stand, konnte ich mich ganz meinen geliebten Büchern widmen. Auch nachdem ich das Wissen erworben hatte, das man einem jungen Adligen gewöhnlich zumutet, setzte ich meine Studien fort. Mit der Zeit wuchs mein Wissen, wenn auch vielleicht nicht meine Weisheit, und bald suchten viele meinen Rat. Auch einige der Großen kehrten in meinem bescheidenen Haus nahe der Universität ein - oder schickten zumindest einen Diener. Ich wußte um die Gefahr, die zu große Nähe zur Macht bringt. Doch ich selbst hielt mich für gefeit, hatte ich mich doch in meinem Herzen allein der Wahrheit verpflichtet und keiner politischen Partei. Wie dumm ich doch war! Denn niemand kann in dieser gottlosen, in dieser göttlichen Stadt frei von Parteinahme leben. Und es war kein schlechtes Leben mit einem starken Gönner. Wer aber unter den Adligen Sabemas Freunde hat, der hat auch Feinde. Nicht lange, und man trachtete nach meinem Leben. Nur durch Glück und den Segen der Götter wurde der erste Anschlag vereitelt. Ich hatte meine Lektion gelernt. Noch in der selben Nacht packte ich meine wichtigsten Schriften zusammen und verließ mit Frau und Kind die Insel. Welch Trauer bemächtigte sich meiner, als die vertrauten Ufer hinter mir im Meer versanken! Mehr noch als der Verlust der Freunde, schmerzte mich der Abschied von meinen Bücher, von der Universität mit ihren unerschöpfliche Archiven und den angeregten Gesprächen mit anderen Gelehrten. Es schien mir, als würde das Buch der Geheimnisse dieser Welt vor meiner Nase zugeschlagen. Zu einem Leben unter Wilden und Ungebildeten war ich verbannt!

Es diente allein meiner Eitelkeit, wollte ich dir von allem erzählen, was mir in jener Zeit widerfuhr. Schließlich fanden die Meinen und ich ein neues Zuhause auf der Insel, die nun den Namen Alleroog trägt. Nur wenige Jahre zuvor war sie noch vollkommen unbewohnt gewesen, doch wir waren beileibe nicht die ersten Flüchtlinge, denen sie Sicherheit und Geborgenheit bot. Menschen aus vielen Ländern leben nun hier; kaum eine Sprache, die hier nicht gesprochen würde. Und ich, der ich mich schon mit meinem Schicksal abgefunden hatte, fand einen schier unermesslichen Schatz an Wissen vor. Wissen, von dem meine Freunde an der Universität in Sabessa nicht die geringste Ahnung hatten. Sicher, die wenigsten der Einwohner Alleroogs sind Gelehrte, doch kennen sie aus eigener Erfahrung das, was so mancher scheinbar Weise nur erahnen kann. Selbst der einfachste Landmann weiß mehr über das Dorf, in dem er aufwuchs, als der Studierte in der fernen Hauptstadt. Und es waren nicht nur Bauern und Händler mit denen ich sprach. Seeleute traf ich, die ferne Küsten und Meere erkundeten und Länder sahen, die auf keiner Karte verzeichnet sind. Tapfere Krieger fand ich, die gefahrvolle Reisen unternommen, unter vielen Herren gedient hatten. Wer sollte genauer beobachten, als der Soldat, der sich in feindlichem Gebiet bewegt, als der Seemann, dessen Überleben von seinem Wissen über die Länder und ihre Lage abhängt.

Doch noch eine Quelle meines Wissens muß ich dir nennen, Freund. Es ist noch keine fünf Jahre her, da fanden Menschen, Seeleute und Krieger, aus Alleroog einen neuen Kontinent im Osten. Dort trafen sie auf ein Volk, das sich selbst zu Recht die Aleandon, das Meervolk nennt. Leben sie auch zurückgezogen, so haben sie doch über die Jahrtausende, die ihr Reich schon besteht, unfassbares Wissen, unglaubliche Weisheit zusammengetragen. Nicht einmal die große Bibliothek von Sabessa kann es mit derjenigen in Tiluvo, der Hauptstadt der Aleandon aufnehmen. In dieser Bibliothek sitze ich nun, und schreibe meine Enzyklopädie. Ich denke, ich kann mit Recht behaupten, der erste Mensch zu sein, der die Entwicklung der Völker Aurhims kennt und ihre Gründe versteht. Und doch bleiben noch viele Fragen für meine Nachfolger zu beantworten. Nun aber, Freund, habe ich dich lange genug aufgehalten. Jetzt stille deine Neugier und blättere um.

geschrieben zu Tiluvo am 17. Evac des Jahres 1861 auc von Malacir