Viergötterglaube - Altgläubigkeit (Forts.)

Thalwesc

Wenn die Thalwesc auch in theologischen Fragen mit den Naskyrik meist einer Meinung sind, so schmunzeln sie doch oft insgeheim über die ungeregelte, unzivilisierte Art der Religionsausübung ihrer Nachbarn.
Auch bei den Thalwesc ist prinzipiell jeder Gläubige frei darin, wie er seinem Glauben Ausdruck verleiht. Jedoch gibt es eine gut organisierte Priesterschaft, die ihn darin anleitet und ihm Stütze sein will. Jeder der vier Götter sowie die große Mutter hat ein großes Heiligtum, das für seine Priester und Priesterinnen - auch die Thalwesc unterschieden hier nicht nach Geschlecht - in allem Zentrum und Vorbild ist. Die Heiligtümer der vier Götter lagen alle auf dem Festland, das der Mutter auf Arlin selbst.
Beras Heiligtum war ein kleiner See in einem lieblichen Tal, in dem, vom Sonneschein verwöhnt, stets die ersten Blumen im weiten Umkreis blühten.
Anewas' Priester versammelten sich auf einer kleinen Insel, kaum mehr als einen Steinwurf vom Festland entfernt.
Tajed wurde in einem kleinen Wäldchen, einem Ausläufer des Schattwaldes, verehrt.
Anir schließlich hatte sein Heiligtum in einer steilen Schlucht des Hochschatts.

Wenn ich von diesen Heiligtümern in der Vergangenheit rede, so hat das den folgenden Grund: Als die Belider diese Gebiete eroberten, waren ihnen die Priesterkollegien ein Dorn im Auge, nicht zuletzt, weil sie mit ihrer straffen Organisation das Rückgrat des Widerstandes gegen die Besatzer bildeten. So setzten sie alles daran, die Heiligtümer zu zerstören und damit den Priesterkollegien die Grundlage zu entziehen. Also brannten sie die Häuser nieder, rissen Mauern und Zäune ein und vertrieben die Priester aus ihrer Heimat. Doch in ihrem von steinernen Tempeln und buntbemalten Statuen geprägten Geist verstanden sie nicht, daß sie damit den Glauben der Thalwesc nicht treffen konnten. Denn die heiligen Plätze in der Natur ließen sie als nebensächlich unberührt, dabei waren doch gerade das die Kernstücke der Anlagen. So hielten sich die Priesterkollegien einige Zeit versteckt, bevor sie langsam, einer nach dem anderen, in die Umgebung ihrer einstigen Heimat zurückkehrten. Zwar sind sie durch den Zwang zur Geheimhaltung etwas behindert, aber ihre Ordnung wie auch ihr Ansehen in der Bevölkerung ist nahezu ungebrochen.

Ein anderes Schicksal nahm das Heiligtum der Mutter auf Arlin. Es handelt sich hierbei um eine kleine felsige Insel, mitten in einem See. Der heiligste Ort ist eine kleine, kreisförmige Vertiefung in diesem Fels, die bei Ritualen als Schale verwendet wird. Gebäude zur Unterbringung der Priester gab es hier nie, sie lebten schon immer auf die Dörfer der Umgebung verteilt. Von dem Schicksal ihrer Brüder auf dem Festland gewarnt, versteckten sich die Priester, sobald die Eroberung Arlins absehbar war. Da es darüberhinaus nichts gab, was die feindlichen Truppen hätten zerstören können, entkam die Priesterschaft der Mutter den Häschern Belidas vollkommen intakt. Aber auch sie sind zu einem Leben in Heimlichkeit verurteilt, wollen sie nicht den Zorn der Besatzer auf sich lenken.

Doch ich will noch einmal zu den Priestern selbst zurückkommen. Viele von ihnen werden sicherlich am großen Heiligtum ihrer Gottheit ausgebildet - ganz so, wie es ein Kirchengläubiger vermuten würde. Doch mindestens ebenso viele gehen einfach bei einem älteren Priester, irgendwo im Lande, gleichsam in die Lehre. Und diese Priester sind mitnichten weniger hoch angesehen. Um doch einen gewissen Grad an Gleichförmigkeit zu erhalten, ist es Vorschrift, daß jeder angehende Priester mindestens ein Jahr am höchsten Heiligtum seiner Gottheit verbingt. Die Weihe selbst kann dann aber wieder in seiner Heimat stattfinden und tut das auch in aller Regel.

Anders als die Naskyrik kennen die Thalwesc einen richtigen Gottesdienst. Zu den vom örtlichen Priester geleiteten Zeremonien kommen alle Menschen der Umgebung zusammen. Ein Gebäude, das man im belidisch/sabessischen Sinne als Kirche bezeichnen könnte, gibt es aber in aller Regel nicht. Normalerweise finden diese Feiern an einem - warum auch immer - heiligen Ort statt, doch haben die Thalwesc auch keinerlei Skrupel, sie bei schlechtem Wetter in das größte, zur Verfügung stehende Gebäude zu verlagern. Meistens handelt es sich dabei um die Halle des Clanführers.
Wie die Kirchengläubigen haben auch die Thalwesc eine Woche von sechs Tagen, deren letzter Tag den Göttern und der Besinnung gewidmet ist. Die wenigsten Priester halten jedoch die Teilnahme am Gottesdienst für verpflichtend, und so begnügen sich die meisten Familien mit einer kurzen Andacht im eigenen Heim - vor allem, wenn sie für den Tag größere Pläne haben. An den großen Feier- und Gedenktagen jedoch, kommen alle Gläubigen zusammen.
Die Gottesdienste sind für einen Kirchengläubigen oft erstaunlich kurz und wenig zeremoniell. Zwar obliegt die Leitung der Feier dem Priester, doch tragen die Gläubigen einen großen Teil der Ausführung. Neben den - zum Teil vorgeschriebenen, zum Teil improvisierten - Gebeten wird bei diesen Feiern viel gesungen. An höheren Festtagen gibt es darüber hinaus noch eine Vielzahl an Traditionen, die von Fackelmärschen über gemeinsame Festmahle bis zu speziellen Blumengebinden alles beinhalten können, dessen die menschliche Vorstellungskraft fähig ist.

Von zentraler Bedeutung bleiben aber immer die Lieder, die von den Gläubigen gemeinsam gesungen werden. Manche von ihnen werden bereits seit Jahrhunderten überliefert. Doch die Thalwesc sind ein sangesfreudiges Volk und so gibt es auch immer wieder neue Lieder. Doch wie soll man diese den Menschen beibringen? Auch wenn die meisten Thalwesc lesen und schreiben können, gibt es ja keine Möglichkeit Musik in Tinte und Papier zu fangen. Aus diesem Grund gibt es in den meisten Thalwesc-Siedlungen das Amt des Vorsängers. Er ist es, der neue Lieder schreibt und zu seinen Kollegen reist, um von ihnen neue Lieder zu lernen. Daneben leitet er die sogenannte Singschule, in der sich Menschen zusammenfinden, die besondere Freude am Gesang haben. Diese unterrichtet er in den neuen Weisen, damit sie sie nach Hause, zu Freunden und Familie tragen können. Wird das Lied dann zum ersten Mal bei einer Feier gesungen, ist es einem Großteil der Gläubigen schon bekannt.

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