Seefahrt (Forts.)

Weder Kompass noch Seekarten waren den Naskyrik bekannt, und doch beschränkten sie sich nicht rein auf die Küstenfahrt. Mündlich überlieferte Segelanweisungen halfen ihnen auch, den Weg außer Sicht des Landes zu finden. Diese Schiffe waren in aller Regel nicht bewaffnet - ganz im Gegensatz zur Besatzung. Seit dem Jahr 1057 auc hatten die Chronisten des heutigen Belidas immer wieder Grund, über die Angriffe der Männer aus dem Norden zu klagen. Die Schiffe, rundbauchig und mit wenig Tiefgang, konnten an jedem flachen Strand landen und weit die Flüsse hinauffahren. In dem Maße, wie die Belider die Entwaffnung der Bauern durchsetzten, nahmen diese Überfälle zu. Meist waren die Räuber bereits verschwunden, bevor bewaffnete Hilfe aus der nächsten Burg herbeigerufen werden konnte. Aber die Belider, von Furcht vor einem Aufstand der Landbevölkerung erfüllt, hielten an ihren Gesetzen fest und so konnten die Naskyrik viele Jahrhunderte lang beinahe ungehindert rauben und plündern. Erst mit dem Erstarken der belidischen Marine und ganz besonders mit der Gründung der nordbelidischen Marine, nahmen diese Überfälle ab. Denn die naskyrischen Schiffe waren auf einen Kampf auf offener See nicht ausgelegt und konnten leicht in die Flucht geschlagen werden. Trotzdem gelingt es immer wieder einzelnen Schiffen, durch das Netz der Bewacher zu schlüpfen und großes Unheil zu bringen.
Aber beileibe nicht jedes naskyrische Schiff kam in feindlicher Absicht. Viel öfter waren sie als Händler unterwegs. In den Laderäumen unter Deck brachten sie Felle, Trocken- und Salzfisch, Tran und Eisen und tauschten dagegen Getreide, Wein und vor allem Stoffe ein. Als geschickte Händler erkannten sie schnell die Möglichkeiten, die die Besiedlung Perheniens bot. Viele der Siedler gelangten auf naskyrischen Schiffen in ihre neue Heimat - und bezahlten nicht wenig dafür. Immer weiter drangen die wagemutigen Seeleute weiter nach Westen vor. Schließlich gründeten sie mehrere Siedlungen an der Nordwestküste Apaconors. Als sicherer Hafen, wo sich die Schiffe auf der langen Reise in diese neuen Gebiete erholen konnten, wurde schließlich die Eiskapsiedlung gegründet, die bald nicht nur Proviant an die Reisenden verkaufte, sondern auch Häute und vor allem Daunen in die ferne Heimat lieferte.

Die Belider

Doch wollen wir nun diese eisigen Gewässer verlassen und nach Belida zurückkehren. Etwa um das Jahr 1400 auc begann sich auch hier eine echte Schiffahrt zu entwickeln - vorher hatte es nur Fischer und kleinere Küstenfahrer gegeben - von den Schiffen der sabessischen Besatzer abgesehen. In den folgenden Jahrhunderten wurden die Fahrten der belidischen Seeleute immer länger, bis im Jahr 1607 auc das erste Schiff die Eobragi erreichte und von nun an den Dhaharrani diesen gewinnträchtigen Handel streitig machte. Schnell nahm die Zahl und Größe der Schiffe in diesem Südhandel zu und schon 1669 wurde ein Bund zwischen den größten belidischen Handelsstädten gegründet, mit dem erklärten Ziel, den Südhandel zu fördern und den Kaufleuten Schutz und Unterstützung zu bieten. Doch in dem Maße wie der Handel zunahm, wuchs auch die Piraterie in den Gewässern vor Eoconor, und viele brave Männer fielen den Seeräubern zum Opfer. Als die Zustände allmählich unhaltbar wurde, im Jahr 1732, gründete Prinz Tadilo in Sadarin die königliche Marineakademie von Belida, und schon wenig später bot eine schlagkräftige Kriegsflotte den Kauffahrern Schutz.
Der belidische Schiffsbau zeigt sich als geglückte Mischung seiner Vorläufer. Von den Naskyrik wurden die großen Rahsegel übernommen, die vorher nie gekannte Geschwindigkeiten erlaubte. Besonders als man von den geklinkerten zu den Kraweel beplankten Rümpfen zurückkehrte, konnten immer größere Fahrzeuge gebaut werden und nur wenig später fanden sich Schiffe mit mehreren Masten, bis schließlich die größten Kriegsschiffe vier Masten aufwiesen. Von den Mai San wurde das Konzept der geteilten Segel übernommen, die eine zusätzliche Erhöhung der Masten erlaubte, besonders da die belidischen Schiffe von Anfang an mit einem Achterstag ausgestatten waren - im Gegensatz zu denen der Naskyrik. Von den Dhaharrani schließlich kam das Zentralruder mit Steuerrad.
Diese Schiffe waren groß und schnell vor dem Wind. Durch die Rahsegel, die von den Wanten zusätzlich behindert wurden, konnten sie jedoch nicht hoch an den Wind gehen. War ein Schiff doch einmal gezwungen einen solchen Kurs zu wählen, so konnte es nur unter Besan und den Topsegeln sowie dem Klüver dahinschleichen. Das besserte sich erst, als einige findige Kapitäne begannen, dreieckige Segel zwischen den Masten in Längsachse des Schiffes aufzuspannen - die Stagsegel waren geboren. Fast noch wichtiger war die Entdeckung, daß ein Beschlag des Schiffsrumpfes mit dünnen Kupferblechen das Schiff weitgehend vor Algenbewuchs und den zerstörerischen Auswirkungen von Muscheln und Schiffswürmern schützen konnte. Dieser Kupferbeschlag brachte eine so einschneidende Verbesserung, daß er schon innerhalb weniger Jahre nicht nur von allen belidischen, sonern auch von den dhaharranischen Seeleuten übernommen wurde - und der Kupferpreis in bisher unbekannte Höhen schnellte.
Die Akademie von Sadarin war aber nicht nur in der Schiffskonstruktion wegweisend. Sie verbesserte auch die von den Dhaharrani bekannten Methoden der Navigation und entwickelte neue. So gelang es ihren Gelehrten zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, nicht nur die Breite, sondern auch die Länge exakt aus dem Stand der Gestirne zu berechnen, wenn diese Berechnung auch immer schwierig und äußerst zeitaufreibend blieb. Bald setzen die Seekarten aus Sadarin neue Maßstäbe.
Wie die Schiffe der Mai San führten die belidischen Kriegsschiffe schwere Geschütze, die einen echten Kampf auf hoher See ermöglichten. Auch diese Geschütze, sowie die verwendeten Geschosse wurden an der Akademie emsig studiert und stetig verbessert. So weit ich weiß, war die belidische auch die erste Marine in der Geschichte, die neben der Mannschaft, die zur Führung des Schiffes nötig war, auch reine Kampftruppen an Bord nahm, die nur bei bewaffneten Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen. Die Handelsschiffe dagegen verzichteten weitgehend auf eine Bewaffnung, um keinenegewinnbringenden Stauraum zu verlieren. Zum Schutz gegen die Piraterie schloßen sie sich häufig zu großen Flotillen zusammen, die meist von einem oder zwei Kriegsschiffen begleitet wurden.

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