Ishia - Das Leben im Jahreskreis

Sommerleben

Den Sommer verbringen die Ishia auf den weiten Ebenen des Nordens. In dieser Zeit ziehen sie weit umher, den Fährten der Tiere folgend. Wenn sich die Tiere der Steppe im Frühjahr und Herbst in großen Gruppen auf die Wanderung begeben, dann schließen sich auch die Menschen zusammen. Immer wieder gehen sogar mehrere Stämme gemeinsam auf die Jagd, auf jeden Fall aber alle Jäger eines Stammes. Im Hochsommer dagegen trennen sich oft kleinere Gruppen für einige Tage oder Wochen von ihrem Stamm, um an einem bestimmten Bach zu fischen, oder an einer etwas entfernteren Quelle zu jagen. Immer jedoch wird darauf geachtet, daß keine Gruppe schutzlos bleibt. Auf solchen Streifzügen führen sie oft nicht einmal ein Zelt mit. In diesen Tagen schlafen sie unter freiem Himmel, in natürlichen Unterschlüpfen oder in schnell gebauten Unterkünften aus Schilf, Gestrüpp und Zweigen, die kaum mehr als ein Windschutz sind. Ansonsten leben sie des Sommers in Zelten, die aus den Häuter ihrer Beute gefertigt sind. Nicht nur die Zeltplanen, sondern auch die Stangen müssen daführ mitgeführt werden, denn die nördliche Ebene ist arm an Bäumen.

Die Ishia kennen die Natur wie kaum ein zweites Volk. Von jeder Pflanze, jedem Tier wissen sie zu sagen, ob es essbar ist oder giftig und wie man sein Gift vielleicht unschädlich machen kann. Ganz besonders aber jagen sie die großen Pflanzenfresser des Nordens: Rentier, Moschusochse und Wildpferd, in den Bergen auch Hirsche und Rehe. Auch das Thirmu wird von ihnen gejagt, ein Tier das dem Elefanten Mai Hoi Nes ähnelt, aber nur etwas größer als ein Pferd ist und von dichtem Pelz bedeckt. So gefährlich die Jagd auf das Thirmu auch ist - immer wieder werden Jäger dabei schwer verletzt oder sogar getötet - so wird sie doch noch übertroffen von der Jagd auf das Wollnashorn. Diese Tiere sind nicht nur riesig, sondern auch ausgesprochen aggressiv. Doch die riesigen Fleischmengen, die harten Knochen, aus denen sich vorzügliche Waffen fertigen lassen, sowie die dicke Haut, die wie keine andere für Stiefelsohlen geeignet ist, verleiten die Ishia immer wieder dazu, die Jagd zu versuchen - und natürlich auch der Ruhm, der demjenigen winkt, der dieses mächtigste Tier des Nordens erlegt. Auch die Fleischfresser, die Wölfe, Schneepanther und Schneelöwen werden von den Ishia gejagt, hauptsächlich wegen ihren dichten Winterpelzen.
All diese Taten verbringen sie mit Waffen, die uns auf den ersten Blick wohl nur wie Kinderspielzeug erscheinen würde, kennen die Ishia doch keine Metallbearbeitung. Doch ihre Speerspitzen und Messer aus Stein, ihre Pfeilspitzen aus Knochen oder Horn sind kaum weniger scharf als die unseren, und ihre Bogen und Schleudern von großer Treffsicherheit. Ja, ihre Bogen fertigen sie nach einem aufwendigen Verfahren aus Holz, Horn und Sehnen. Ist er dann endlich fertig, hat er kaum weniger Kraft als ein Langbogen - und kann doch vom Rücken eines Pferdes aus verwendet werden.

Sommerfest

Das wichtigste Fest für alle Ishia ist das große Sommerfest, zu dem sich alle Stämme jedes neunte Jahr zur Sommersonnwende an einem großen See versammeln, der in ihre Sprache Vesafalmen, der Sommersee, heißt. Es dauert fast einen Monat - die Gegend ist danach kahlgefressen und braucht die neun Jahre Pause, um sich zu erholen. Viele verschiedene Aktivitäten finden in dieser Zeit statt. Fehden werden beendet, Freundschaften erneuert oder neu geknüpft und nicht wenige der jungen Leute finden auf diesem Fest ihren Partner. Die Schamanen und die anderen Weisen der Stämme kommen in diesen Tagen zusammen, um ihr Wissen zu vergleichen und auszutauschen, und auch für die anderen Menschen ist es eine Gelegenheit Neues zu erfahren. Über die ganze Zeit finden eine Reihe von Wettkämpfen statt, manche von langer Hand geplant, andere spontan. Ihr Ausgang trägt nicht wenig zum Ansehen des Einzelnen wie auch seines Stammes bei und so mancher junge Krieger hat sich bei dieser Gelegenheit einen Namen gemacht.
Am wichtigsten ist das Fest jedoch für die Kinder, die bei dieser Gelegenheit den versammelten Stämmen vorgestellt werden, doch dazu mehr im Abschnitt über den Glauben der Ishia.
Auch in den übrigen Jahren wird die Sommersonnwende gefeiert, doch bleibt dann jeder Stamm für sich. An diesem Tag sind die Altersgruppen, das heißt die Gruppen derjenigen, die im gleichen Sommer geboren wurden, besonders wichtig. Man könnte fast sagen, daß an diesem Tag jeder Ishia seinen Geburtstag feiert.

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