Ishia - Religion (Forts.)

Verwandtschaft unter Seelen

Bevor ich in meinen Erklärungen fortschreiten kann, muß ich nun kurz zur Verbindung einer Seele mit den ihr nahestehenden zurückkehren. Vollbringt ein Mensch eine achtunggebietende Tat, so gewinnen auch seine Freunde und Verwandten an Respekt. Die Älteren, weil sie es waren, die diese vortreffliche Seele geformt haben, die Jüngeren, weil sie sich selbst nach derem Vorbild geprägt haben. Doch andersherum hat auch die schlechte Tat eines Einzelnen Auswirkungen auf alle, die mit ihm verbunden sind. Seine schlechten Eigenschaften können ja nur ein Abbild der ihren sein. Hat eine Person erst einmal einen schlechten Ruf, so wird sie kaum jemals Freunde finden und auch eine Hochzeit wird sich dann nur selten ergeben. Zu groß ist die Angst der anderen, ihre eigene Seele durch diese Person zu "verschmutzen".
Deswegen wird jede Seele versuchen, den ihr Nahestehenden, vor allem ihren engsten Verwandten beizustehen, um einen Verlust an Respekt zu vermeiden. Insbesondere gilt dies für die Seelen der Verstorbenen. Zum einen haben sie mehr Möglichkeiten, den Lebenden zu Hilfe zu kommen, zum zweiten sind sie nicht nur darauf angewiesen, daß ihren Nachkommen Achtung erwiesen wird, sondern vor allem auch darauf, daß es überhaupt Nachkommen gibt. Denn das Andenken eines Toten wird zuerst und vor allem von seiner Familie gepflegt und die Kenntnis der eigenen Abstammung ist von immenser Bedeutung. So gibt es wohl keinen erwachsenen Ishia, der seine Abstammung nicht bis zu Tisha, dem Stammesgründer, zurückverfolgen kann, wenn auch sicher nicht alle Namen in allen Generationen bekannt sind.

Beeinflussung von Seelen

Am leichtesten kann man sich die Seelen seiner Vorfahren gewogen machen, indem man selbst großen Respekt erlangt. In Abwesenheit einer passenden Gelegenheit dazu, kann man auch bestimmte Opfer bringen. Am häufigsten ist noch das Blutopfer, bei dem sich die entsprechende Person manchmal nicht geringe Schmerzen zufügt. Doch die Achtung, die dem solchermaßen Opfernden entgegengebracht wird, schlägt bald in Mißbilligung um, wenn er sich damit selbst ernsthaft beeinträchtigt oder gar verstümmelt. Eine solche Tat wäre in den Augen der Ishia und ihrer Ahnen keine Heldentat, sondern schlichtweg Dummheit.
Prinzipiell kann sich jeder Ishia an jede Seele wenden, ob lebendig oder tot, ob menschlich oder nicht. Tatsächlich wird er aber fast immer einen Verwandten wählen, wenn er einmal nicht weiter weiß. Denn die Ishia glauben, daß nicht nur Menschen, sondern auch Seelen letztendlich nur aus Eigennutz handeln. Einem in Not geratenen Verwandten zu helfen, mag noch mit Vorteilen verbunden sein, die den Kraftaufwand rechtfertigen, einem Fremden zu helfen dagegen nicht. Je enger die Bande zwischen dem Bittsteller und dem Gebetenen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß dieser sich herabläßt einzuschreiten. Eine der "großen Seelen" wird dagegen kaum jemals einem einfachen Sterblichen zu Hilfe kommen.
Hier kommen nun die Schamanen ins Spiel. Sie haben von ihrem Lehrer die Kunst erlernt, auch die Seelen zu überreden, zu bestechen oder zur Mitarbeit zu zwingen, die keinen eigenen Nutzen daraus ziehen. Doch ihre Stellung ist nicht unumstritten. Gibt es auch kaum einen Zweifel an ihrer Unverzichtbarkeit, wenn es darum geht, mit den "großen Seelen" zu kommunizieren, so gibt es doch viele, die meinen, die einfache Bitte eines Menschen an seinen Vorfahr wirke allemal mehr als der Zauber eines Schamanen. Alle Ishia schließlich teilen die Ansicht, daß jede Handlung, mit der man sich selbst aus seinen Schwierigkeiten hilft, die Seelen hundertmal mehr erfreut als jede Bitte, jedes Flehen.

Abschließend läßt sich sagen, daß dieser Glaube an die Seelen und ihre Macht geradezu perfekt an das Leben der Ishia angepasst erscheint. Nicht nur, daß er Heldentum im Kampf und bei der Jagd belohnt, er spendet auch Trost in einem Leben, das allerorten und allerzeit vom Tod bedroht ist. Denn die Zeit, die eine Seele nach dem Tod weiterlebt, hängt allein von ihrer Stärke und damit von ihren Taten zu Lebzeiten ab, nicht aber von der Zeit, die sie in einem Körper verbracht hat. Für die Ishia ist es allemal besser, jung einen Heldentod zu sterben, als ein langes, aber unbedeutendes Leben zu führen. Und schließlich ist es wohl kein Zufall, daß ein Volk, das dermaßen Wert auf Achtung und Respekt legt, eine solche Vielzahl von stolzen, ja hochmütigen Kriegern hervorgebracht hat.

Fortsetzung auf der nächsten Seite

Verwandte Themen: