Ishia - Zeremonien (Forts.)

Beerdigung

Gilt es einen Verstorbenen zu bestatten, so kommt der ganze Stamm zusammen. Der Leichnam wird gewaschen und in seine schönsten Kleider gehüllt. Zuletzt öffnet man ihm als Zeichen, daß er nun endgültig die Welt der Lebenden verlassen hat, die Zöpfe und kämmt die Haare aus.

Zur Mittagsstunde wird der Leichnam zusammen mit seinen persönlichen Gegenständen wie etwa Waffen oder Werkzeug vom ganzen Stamm an einen besonderen Ort gebracht. Einzig besonders wertvolle Gegenstände, wie zum Beispiel Schwerter - die von den Ishia ja nicht selbst hergestellt werden können - werden an einen nahen Verwandten oder Freund des Toten gegeben.

Die Ishia haben als Nomaden natürlich keine richtige Friedhöfe, doch haben sich über die Generationen bestimmte Orte herausgebildet, die immer wieder für eine Bestattung genutzt werden. An diesem Ort angekommen, wird der Leichnam einfach auf dem Boden abgelegt. Je nachdem, wie nah der Tod dem einzelnen geht, hat er jetzt noch die Möglichkeit zu trauern. Nach und nach kehren dann die Stammesmitglieder ins Lager zurück. Spätestens zum Sonnenuntergang müssen dann auch die letzten Trauernden das Grab verlassen. Nur einige Männer, meist enge Freunde des Verstorbenen, bleiben noch zurück. Sie zünden zu Kopf und Füßen des Leichnams je ein Feuer ab und nähren es die ganze Nacht. Erst mit Sonnenaufgang werden die Feuer gelöscht und auch diese letzte Grabwache verläßt den Ort.

Die Ishia glauben nämlich, daß in dieser Nacht die Seele den Körper verläßt. Von diesem Zeitpunkt an ist der Leichnam für dieses harte Volk nichts weiter als der Kadaver eines verendeten Tieres. Deswegen wird er auch in keiner Form gegen wilde Tiere und ähnliches geschützt. Im Gegenteil, es wird begrüßt, daß er so in den Kreislauf der Natur zurückkehrt.

Diese Bestattungsriten gelten aber in der Regel nur für Frauen, genauer für Sammlerinnen. Zur Bestattung von Kriegern - egal ob Mann oder Frau - mehr im nächsten Abschnitt.

Aufnahme in den Stand des Jägers

Möchte ein Ishia in den Stand des Jägers aufgenommen werden, so muß er eine weitere Zeremonie durchlaufen. Für die jungen Männer, die ja in aller Regel zum Jäger werden müssen, findet diese Zeremonie am Tag nach ihrer Initiation statt. Auch viele Frauen nehmen zu diesem Zeitpunkt teil, doch kann sie bei ihnen auch noch später stattfinden.

Die Zeremonie beginnt damit, daß die Aufzunehmenden mit einigen erfahrenen Jägern am Abend das Lager verlassen. An einem Platz irgendwo außerhalb beginnt die Nachtwache, bei der viele Geschichten erzählt werden, die von den Schattenseiten des Jägerlebens, von Pflicht und Gefahr, von Schmerz und Tod handeln. Immer wieder wird den jungen Leuten klar gemacht, daß ein Jäger nicht auf ein langes Leben hoffen kann. Dann, gegen Morgen, kommt der Schamane dazu. Die Aufzunehmenden bekommen einen Trank gereicht.

Wenige Minuten später trübt sich ihre Sicht und sie bleiben reglos, wie tot, liegen. Doch sind sie dann nicht bewußtlos, im Gegenteil. Zwar haben sie keinerlei Kontrolle über ihren Körper, können also auch die Augen nicht öffnen, doch sind die anderen Sinne zum Teil sogar noch schärfer als sonst. Die Betroffenen hören jedes Wort und der Tastsinn ist so gesteigert, daß selbst einfachste Berührungen schmerzhaft sind. Zum Teil stellen sich auch Halluzinationen ein, besonders, wenn der Trank zu stark ist. Doch egal, was die Personen erleben, sie können sich in keinster Weise nach außen bemerkbar machen, liegen völlig leblos da.

Die solcherart "Verstorbenen" werden ins Lager gebracht, wo sie ganz dem Bestattungsritual entsprechend hergerichtet und betrauert werden. Wie echte Leichname werden sie zur Mittagsstunde aus dem Lager gebracht und auch am Begräbnisplatz verläuft alles ganz nach dem oben beschriebenen Ritus. Gegen Morgen oder sogar erst am folgenden Tag läßt die Wirkung des Trankes nach und die frischgebackenen Jäger kehren ins Lager zurück. Doch anders als bei der Initiation als Erwachsene werden sie nicht gefeiert. Vielleicht legt ihnen jemand mitfühlend die Hand auf die Schulter, aber mehr auch nicht.

Nach dem Glauben der Ishia sind die Jäger ab diesem Zeitpunkt "tot". Wenn sie später tatsächlich ums Leben kommen, dann sind die Bestattungsriten bereits vollzogen. Außerhalb des Lagers - wo wohl die meisten Jäger ihr Leben lassen - läßt man sie einfach liegen und auch im Lager werden sie nur beiseite geschafft. Die Ishia glauben nämlich, daß die Seelen der Verstorbenen die Jungjäger in dieser Nacht besuchen kommen und ihnen zeigen, wie sie ihren Körper verlassen können, ja, sie vielleicht mit ins Reich der Seelen nehmen. Stirbt der Körper nun tatsächlich, so kann die Seele ihn augenblicklich verlassen, denn sie kennt den Weg ja schon.

Wechsel des Standes einer Frau

Möchte eine Jägerin zur Sammlerin werden, so wird sie in einer Zeremonie wieder in den Kreis der Lebenden aufgenommen, denn als Jägerin galt sie ja als tot. Die Rituale sind dabei im Wesentlichen die gleichen wie bei der Geburt eines Kindes.

Für Männer ist dieser Weg in aller Regel jedoch versperrt. Nur ganz selten einmal kommt es vor, daß ein alter Mann, der - durch Krankheit oder Verletzung behindert - nicht mehr auf die Jagd gehen kann, vom Jägerdasein entbunden wird. So kann seine Erfahrung dem Stamm noch einige Zeit nützen, doch wird er wohl kaum den nächsten Hungerwinter überleben.

Frauen dagegen können nach Belieben zwischen den beiden Lebensformen hin- und herwechseln. Nur die Mutter eines kleinen Kindes ist an das Leben als Sammlerin gebunden, solange sich keine andere Frau findet, die die Mutterrolle übernimmt. Doch auch die anderen werden es sich gut überlegen, bevor sie den Wechsel vollziehen, denn wer einmal die rituelle Aufnahme in den Kriegerstand erfahren hat, wird dieses Schrecken nicht ohne Grund ein zweites Mal auf sich nehmen.

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