Aber es half alles nichts. 497 auc kamen die Feinde der Aleandon mit Macht zurück und bald sah selbst Siquai, daß Tiluvo nicht mehr zu retten war. Die Stadt würde fallen, aber er, der er noch wenige Jahre zuvor dafür eingetreten war, jenseits des Meeres in Diconor ein neues Reich zu gründen, war nun selbst zu stolz, die alte Heimat aufzugeben. Schließlich fasste er den Entschluß, sein Volk auf Schiffen in Sicherheit zu bringen, und an der Südküste Apaconors, im Gebiet das später einmal von Sabessa beherrscht werden würde, wieder Fuß zu fassen. Dieses Land war nach allen Berichten bis jetzt von Krieg und Hunger weitgehend verschont geblieben. Dort wollte er seine Kräfte sammeln, um dann Tiluvo und die anderen Städte zurückzuerobern.
Auf dem Meer waren die Aleandon noch immer allen überlegen und so fanden sich tatsächlich genügend Fahrzeuge um alle, auch die menschlichen Verbündeten in Sicherheit zu bringen. Siquai aber wußte, daß ihre Feinde auf sie herabstoßen würden, sobald sie bemerkten, daß Tiluvo evakuiert wurde. Um den Abzug zu sichern, schickte er die Truppen der Menschen aus. Die Männer wußten, daß ihnen der sichere Tod bevorstand, doch vertrauten sie Siquai und seinem Versprechen, ihre Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Niemand weiß, ob Siquai zu diesem Zeitüpunkt schon den Entschluß gefasst hatte, sie zu verraten, aber als die Schiffe bereitlagen, die Menschen aufzunehmen, ließ er sie von den Kriegern seiner Leibwache zurückhalten und gab den Befehl, die Schiffe stattdessen mit all den Schätzen und Kunstwerken zu füllen, die Tiluvo und seine Häuser schmückten. Großes Wehklagen brach unter den Frauen und Kindern aus, aber Siquai ließ sich nicht erweichen. Die Dinge zurückzulassen, die für ihn die Kultur und den Glanz seines Volkes ausmachten, erschien ihm als ob er sein Volk dem Verderben preisgäbe. Was zählten dagegen die armseligen Menschen mit ihrer kurzen Lebensspanne.Selbst den Aleandon, die sonst wenig von den Menschen hielten, erschien dies zu grausam, doch seine Leibwache, die ihm blind ergeben war, sorgte dafür, daß der Befehl bis zum letzten ausgeführt wurde. Nicht einmal für seine Geliebte und seinen Sohn wurde eine Ausnahme gemacht und Siquai sah mit steinerner Miene zu, wie sie weggeschickt wurden.
Er selbst bestieg das letzte Schiff und Tiluvo war Vergangenheit. Aber als hätte er sein Glück in der Stadt zurückgelassen gelang keiner von Siquais Plänen. Sein Verrat an den Menschen eilte ihm voraus und nirgends fanden seine Schiffe einen freundlichen Hafen. Immer wieder kommt es zu Kämpfen und Stürme und Meerdrachen, die in diesen Jahren weit nach Süden zogen, zerstörten so manches Schiff. So kam bald jeder zweite der Aleandon, die sich aus Tiluvo retten konnten, in jenen schrecklichen Jahren ums Leben und immer lauter wurde der Ruf, doch nach Neshive zu ziehen, das Sicherheit und Ruhe versprach. Siquai aber wollte davon nichts hören. Er war wie besessen davon, das Reich seiner Väter wiederherzustellen und endlich schien sich das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden.
Die Menschen in Leleol, einer der größten Siedlungen im heutigen Belida, erklärten sich schließlich zu einem Waffenstillstand bereit, sei es aus Mitleid mit den Flüchtlingen, aus Ehrfurcht vor ihrer Kultur oder schlicht aus Habgier, denn Siquai hatte ihnen viel Gold versprochen. Endlich finden die Schiffe einen Hafen und sofort geht man daran, den Aufbau einer neuen Siedlung zu planen. Doch noch einmal sollte Siquai Leid über sein Volk bringen. Hochmütig und verschlossen, wie es seine Art war, vergingen nur wenige Wochen, bis er die Menschen Leleoles gegen sich und die Seinen aufgebracht hatte. Es kam zum Kampf und mehrere Schiffe gerieten in Brand. Voller Angst drängten sich die Aleandon im Hafen, doch wie sollten die übriggebliebenen Schiffe die Menge aufnehmen? In dieser Stunde endlich erwachte Siquai aus seiner Selbstsucht wie aus einem bösen Traum. Heldenhaft stellte er sich mit seiner Leibwache den Feinden und sicherte so das Entkommen seines Volkes. Als die Schiffe ablegten, kämpfte er immer noch verbissen mit dem Rücken zum Meer, doch nur Minuten später fiel er vor aller Augen. In dieser schrecklichen Stunde war es schließlich Neâr Seviluêl, die den Mut und die Tatkraft fand, ihr Volk sicher nach Neshive zu geleiten. Noch in Sichtweite von Leleole ließ sie sich zur Königin der Aleandon ausrufen und übernahm so endlich die Würde, die ihr schon Jahre zuvor zugestanden hätte.
Sie behielt das Amt viele Jahre und unter ihrer Herrschaft nahm das Neue Reich seinen Anfang, wuchs und gedieh. Siquai aber fand nie die Vergebung seines Volkes und nur in Neshive gedachte man seiner guten Taten in jungen Jahren noch mit Achtung. Doch selbst die Einwohner dieser Stadt schmähten ihn für das, was er später getan hatte.
Tisha, der Sohn Siquais
Die Geschichtsstunde (Erzählung)