Die Ankunft in Tiluvo (Forts.)

Wie zur Bestätigung krächzte Quioda und Eirien und Shay durchschritten das Tor. Dahinter befand sich ein schmaler Gang, der sich nach etwa zwanzig Schritten zu einem kleinen Raum erweiterte. Hier befand sich ein Brunnenbecken an der Wand, aus dem ein kleiner Bach floß, entlang des Baches ging es nun weiter, bis sie nach wenigen Schritten an einen Abgrund kamen. Hier stürzte der Bach mit Getöse wohl fünfzig Fuß in die Tiefe. Shay blieb erstaunt stehen, doch Eirien zog ihn weiter. "Du wirst noch viel erstaunlicheres sehen." flüsterte sie ihm leise ins Ohr. Wie ein Schneckenhaus führte der Weg nun rund um den Wasserfall in die Tiefe. Die Luft war erfüllt von einem feinen Nebel. Bald hatten sie den Grund erreicht, und der Weg ging von nun an nur noch flach bergab durch Gänge und kleinere Höhlen. Immer wieder zweigten nun Seitengänge ab. "Hier befinden sich die Lager und Werkstätten meines Volkes." erklärte ihm das Mädchen. Der Weg war nur von wenigen Lampen erleuchtet, doch bald zeichnete sich ein heller Torbogen ab. Ohne anzuhalten führte Eirien ihn hindurch. In dem Moment in dem sie den Bogen durchschritt, erhob sich Quidoa von ihrer Schulter in die Luft und flog pfeilschnell davon.
Shay stockte der Atem. Der Weg war zu einer weiten gepflasterten Straße geworden. Links und rechts zogen sich lange niedrige Gebäude hin. Doch über ihren Köpfen war ein Gewölbe aus einem seltsam durchsichtigen Material und darüber war ... das Meer. Sie befanden sich am Meeresgrund. Eirien hatte jetzt bemerkt, dass er erstaunt zurückgeblieben war. "Ist das Glas?" fragte er ungläubig. Noch nie hatte er soviel des kostbaren Materials auf einem Fleck gesehen. Sie lachte. "So etwas ähnliches, ja. Kommst du?" Kopfschüttelnd riss er sich los.
Der Bach, der ihren Weg begleitet hatte, floß jetzt in einem mit weißem Marmor eingefaßten Bett in der Mitte der Straße. Pflanzen wuchsen in ihm, die Shay noch nirgends gesehen hatte. Sie schienen am Grund festgewachsen zu sein, doch ihre Stengel und Blätter trieben im Wasser. Er schätzte, dass die einzelnen Pflanzen wohl über zwei Schritt Länge erreichten. Nur die Blüten erhoben sich über das Naß. Sie waren blau und grün und türkis. Violett und rot und weiß. In regelmäßigen Abständen überspannten kleine Brücken ohne Geländer den Bach.
Die Häuser waren nun schmäler doch höher und standen weiter auseinander. Zwischen den Häusern wurde die Straße von Mauern eingesäumt, doch hin und wieder reichte das Glasgewölbe auch bis zum Boden. In dieser Weise mochten sie wohl zehn Minuten gegangen sein, als die Straße zu einem Ende kam. Eine Balustrade spannte sich quer über die Straße und dahinter schien das Gelände abzufallen. Eirien blieb stehen und drehte sich zu Shay um. "Willkommen in Tiluvo." Sie machte eine weite Bewegung die den ganzen Raum zu umfassen schien. Shay trat an die Balustrade. Vor seinen Augen bot sich ein traumhaftes Bild.
Das Gelände fiel hier wirklich steil ab. Etwa zwanzig Fuß unter ihnen lag ein großer, kreisrunder Platz, der einen Durchmesser von gut 300 Schritt hatte. Auf ihn mündeten sieben Straßen ein, die jede von einem Bach begleitet wurde. In der Mitte des Platzes vereinigten sich die Bäche zu einem runden See, der etwa ein Drittel des Platzes einnahm, und der von Seerosen in allen Formen und Farben bedeckt war. Rings um das Seeufer standen niedrige Marmorbänke. Eingefaßt wurde der Platz von einer überdachten Galerie, hinter der stattliche Häuser lagen. Alles war aus einem weißen Stein, der von selbst leuchtete, als beschiene ihn die Abendsonne, doch das Meer über der gigantischen Glaskuppel, die den Platz überspannte, war schwarz. Die Wände der Galerie und auch vieler Häuser waren mit großen, ornamentiven Mosaiken in Blau- und Grüntönen geschmückt, und auch diese schienen zu leuchten. Auf diese Art war der ganze Platz in ein warmes Licht getaucht, das dem Auge schmeichelte.
Auf ihm waren wohl mehrere hundert Leute unterwegs und die Luft war erfüllt vom Lachen der Kinder, die am Seeufer spielten. Genau gegenüber der Stelle, an der sich Shay und Eirien befanden. floß das Wasser aus dem See ab. Hier öffnete sich eine achte Straße zum Platz hin, die jedoch um einiges breiter und prächtiger war, als die anderen sieben. Eirien bemerkte Shays Blick. "Dort geht es zum Palast meines Vaters, doch ist es heute bereits zu spät, um ihn zu besuchen. Wir werden die Nacht in meinem Haus verbringen, und ihm dann am Morgen unsere Aufwartung machen." Sie lächelte, denn ihr war das Leuchten in Shays Augen nicht entgangen. "Können wir weitergehen, oder willst du noch schauen?"
"Was?" Shay war einen Moment verwirrt. "Ach so. Ja, wir können gehen. Es ist nur..."
"Was ist?"
Shay ließ den Blick erneut über den ganzen Platz gleiten, dann sah er in Eiriens grünblaue Augen. "Es ist wunderschön."

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