Der Tanz der Meerdrachen (Forts.)

Starr vor Schreck und doch fasziniert von diesen Kreaturen hielten die beiden den Atem an. Jetzt schwammen die Drachen aufeinander zu. Noch immer konnte man sie nur am Kräuseln des Wassers um sie her erkennen. Kaum hundert Schritt von der Falke entfernt trafen sie zusammen. Einen Moment schienen sie im Wasser um einander zu kreisen, dann bäumten sie sich gleichzeitig auf, wie zwei kämpfende Hengste und es begann ein Schauspiel, das Meko und Jotan ihr Leben lang nicht vergessen sollten.
Die Drachen verharrten regungslos, die Köpfe hoch über das Wasser erhoben, als stünden sie auf festem Grund und doch war das Meer hier hunderte Faden tief. Langsam färbten sie sich dunkler, zuerst beinahe unmerklich, dann immer schneller. Bald hoben sie sich klar vom umgebenden Wasser ab, blau wurde zu violett, wurde zu schwarz, bekam schließlich einen roten Schimmer. In diesem Moment rissen die Drachen die Mäuler auf. Jotan und Meko erstarrten in Erwartung des schrecklichen Gebrülls, das nun sicher erschallen würde, doch es blieb alles still. Dann begannen die Kreaturen mit den Schwänzen zu schlagen, bis das Wasser um sie herum zu weißem Schaum aufgewirbelt wurde. Auch die Körper bewegten sich jetzt, wiegten sich wie riesige Schlangen hin und her, als versuchten sie, höher und höher aus dem Wasser zu steigen.
Auf einmal, urplötzlich, glitt einer der beiden unter Wasser, versuchte seinem Gegner zu entkommen. Der bäumte sich noch einmal triumphierend auf, erstrahlte schlagartig in leuchtendem Rot, dann nahm er die Verfolgung auf. Der Unterlegene schien es jedoch nicht sonderlich ernst zu meinen mit seiner Flucht. Er schwamm langsam, in weiten Bögen und so hatte der Rote ihn schnell eingeholt. Ein Stück glitten sie Seite an Seite dahin, der schwarze Drache und der rote, dann nahm dieser Anlauf und sprang in einem mächtigen Bogen über den anderen. Es war nur der erste von vielen Sprüngen. Während der dunklere nach wie vor langsam dahin schwamm, mal in Schleifen, mal in Kreisen, ohne sich je weit zu entfernen, sprang der andere hin und her, wechselte dabei ständig die Farbe, rot, gelb, grün. Es war als hätte ein Regenbogen Gestalt angenommen, um im Meer zu spielen. Denn ein Spiel schien es jetzt zu sein, alles Bedrohliche war verschwunden, die Wesen dort im Wasser schienen sich einfach ihrer Existenz zu freuen.
Nach einiger Zeit sahen die beiden Beobachter im Masttopp, wie auch der andere Drache allmählich heller wurde. Sein von rot durchschossenes Schwarz wandelte sich zu Purpur, wurde zu Karmesin und schließlich glitt er wie ein Pfeil aus leuchtendem Orange durch das Wasser. Noch einmal sprang der erste über ihn, dieses Mal von zitronengelber Farbe, dann waren plötzlich beide verschwunden.
"Wo sind sie hin?" flüsterte Jotan, als er endlich seine Sprache wieder fand.
"Ich weiß es nicht." Meko wandte den Blick nicht von der Stelle, wo die Drachen das letzte Mal aufgetaucht waren. So war es Jotan, der die Tiere zuerst entdeckte. "Dort drüben." Dann verstummte er, wiederum gefangen von dem unwirklichen Schauspiel.
Die Drachen hatten unter Wasser eine Strecke von vielleicht dreihundert Schritt zurückgelegt. Hatten sie sich bis jetzt steuerbord voraus befunden, waren sie jetzt achtern aufgetaucht. Gemeinsam schnellten sie aus dem spiegelglatten Wasser. Ihre smaragdgrünen Leiber beschrieben einen perfekten Bogen, bevor sie ohne einen Laut wieder eintauchten. Kaum waren sie ganz unter Wasser setzten sie schon zum nächsten Sprung an. Höher und höher wurden die Bögen, bis zuletzt die Körper am Scheitelpunkt vollkommen vom Wasser befreit waren. Zum ersten Mal sahen Jotan und Meko nun die Tiere in ihrer ganzen Pracht, das lang gestreckte Haupt, die kräftigen Schultern, die kurzen, doch starken Beine, und zuletzt den langen, mächtigen Schwanz. Wie zuvor zeigten sie bei jedem Sprung eine andere Färbung, ja, sie wechselten sogar in der Luft die Schattierung, doch nun geschah alles im perfekten Einklang.
Endlich schienen sie dieses Spiels müde zu werden, die Bögen wurden wieder niedriger, und endlich glitten nur noch an der Wasseroberfläche dahin. Kurz darauf begannen sie sich im Wasser gegenseitig zu umkreisen, dann schraubten sie sich wieder empor, ähnlich wie am Anfang. Aber hatte es da wie ein Kampf gewirkt, so konnte es sich jetzt nur noch um einen Tanz handeln. Eng schlangen sich die langen Leiber umeinander in einer endlosen Spirale. Jetzt liefen silberne Schauer wie Wassertropfen über die herrlichen Körper, von der Schnauze bis hinab zur Schwanzspitze, die tief im Wasser verborgen war. Jede Stelle, die von den Schauern überstrichen wurde, änderte die Farbe, schneller und schneller, bis schließlich der ganze Körper silbern glänzte. In dem Moment erstarrten die Drachen in ihrem Tanz. Reglos hielten sie inne, bis das Silber schließlich zu strahlendem Weiß verblasste. Erst dann sanken sie zurück ins blaue Meer, um erschöpft auszuruhen. Weiß wurde zu grau, um zuletzt wieder die Färbung des Meeres anzunehmen, als sich endlich einer löste, und langsam nach Norden davonschwamm. Der andere folgte wenig später und entfernte sich in nordöstlicher Richtung. Das Meer lag wieder vollkommen still.

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